Wirtschaft
anders denken.

Zunächst einmal noch ein Schritt zurück

13.09.2019
OXI

Ist eine emanzipatorische Sparpolitik möglich? Es geht nicht nur um Beträge, sondern auch um mögliche politische Konsequenzen. Jürgen Klute ist skeptisch und antwortet auf Felix Wemheuers Plädoyer. 

Sich mit dem Thema »Sparpolitik« aus einer emanzipatorischen Perspektive auseinanderzusetzen, erscheint auf den ersten Blick spannend und sinnvoll und weckt Erwartungen. Felix Wemheuer hat sich diesem Thema hier auf Oxiblog gestellt: »Sparpolitik,  aber emanzipatorisch« heißt sein Beitrag. Er hat dort eine ganze Reihe von alternativen Sparvorschlägen aufgelistet, die sicher in linken Ohren gut klingen. »Es sollen«, so Wemheuer, »staatliche Subventionen, Ausgaben und Steuervergünstigungen identifiziert werden, deren Streichung beziehungsweise Kürzung eine fortschrittliche Wirkung hätte.« 

Beim zweiten und dritten Blick auf die Vorschläge schleichen sich jedoch Misstöne in den anfänglichen Wohlklang ein und der ersten Begeisterung folgt Ernüchterung. Denn so viel einsparen lässt sich mit den Vorschlägen von Felix Wemheuer nicht und teils lässt sich mit Ihnen auch gar nichts einsparen, ganz abgesehen von den politischen Folgen, die sich aus den Vorschlägen ergeben.

Zunächst kritisiert er die öffentliche Unterstützung der Automobilindustrie. Richtig ist sicher, dass die Automobilindustrie auch ohne Subventionen Produktentwicklung betreiben kann. Allerdings kritisiert Wemheuer auch den staatlich finanzierten Aufbau und Unterhalt des Straßennetzes als Voraussetzung dafür, dass Autos überhaupt fahren können. Hier wird es schon komplizierter. Personen- und Güterverkehr muss keinesfalls so ausgiebig über Straßen organisiert werden, wie es derzeit der Fall ist. Die schon lange und oft geforderter Verlagerung von Personen- und Güterverkehr soweit wie möglich auf die Bahn ist aus klimapolitischen Gründen sicher sinnvoll. Allerdings führt eine solche Verlagerung kaum zu Spareffekten, denn auch der Aufbau und Unterhalt von Schienennetzen ist kostenintensiv.

Agrarsubventionen, Verteidigungsausgaben

Als weiteren Punkt nimmt Wemheuer sich die EU-Agrarsubventionen vor. Die Kritik an der Förderung  der industrialisierten Landwirtschaft ist berechtigt. Auch die Kritik an den teils desaströsen Wirkungen dieser Subventionen außerhalb der EU. Die Lösung der benannten Probleme liegt aber nicht in der Streichung der Agrarsubventionen. Sie haben ja ein politisches Ziel: Nämlich nach den Erfahrungen mit den Hungersnöten, mit denen die Menschen in Europa in der Geschichte immer wieder konfrontiert waren, einen politischen Rahmen zu schaffen, der Hungersnöte zukünftig vermeidet. Eine Streichung der Agrarsubventionen bedeutet eine Aufgabe dieses politischen Zieles. Statt einer industriellen Agrarwirtschaft ist eine umweltschonende und nachhaltige Agrarwirtschaft zu entwickeln. Aber auch das wird ohne öffentliche Gelder nicht möglich sein. Eine Änderung der heutigen Agrarpolitik bedeutet also keineswegs nennenswerte Einsparungen in diesem Bereich, da die Gelder für einen solchen Umbau der Agrarwirtschaft auch weiterhin gebraucht werden.

Auch die Kritik an den Verteidigungsausgaben ist zweifelsohne berechtigt. Die Erhöhung des Verteidigungsetats ist unnötig. Rüstungsexporte gehören unterbunden. Dennoch darf man auch hier nicht allzu viele Einsparpotentiale erwarten. Dem Staat ist in der europäischen Tradition aus guten historischen Gründen das Gewaltmonopol übertragen. Das heißt, er ist verpflichtet, für die innere und äußere Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Sorge zu tragen. Dafür ist den Bürger*innen untersagt, Waffen zu tragen, um sich selbst zu verteidigen. Dieses Konzept hat seine Schattenseiten. Die zu diskutieren ist hier aber nicht Ort.

Hier geht es darum, welche Funktionen der Staat zu erfüllen hat. Würde er diese Aufgabe, für innere und äußere Sicherheit zu sorgen, aufgeben, würde er diese Aufgabe dem Markt und damit privaten Sicherheitsdienstleistern überlassen. Sicherheit gäbe es dann eben nur noch für die, die sich das leisten können. Und sie wäre nicht mehr demokratisch und öffentlich kontrolliert und gesteuert. Wie das aussieht und funktioniert kann man/frau sich in einigen südamerikanischen Ländern anschauen. Natürlich muss man/frau darüber streiten, wie dieses Machtmonopol ausgestattet, ausgeübt und kontrolliert wird, um einen Missbrauch zu unterbinden. Das ist dann mit mehr oder auch mit weniger Kosten verbunden. Aber Einsparmöglichkeiten bestehen auch hier nur begrenzt, denn will man eine Privatisierung der Sicherheitsfrage verhindern, muss der Staat auch hier Geld in die Hand nehmen.

Historisch bedingte Dominanz

Selbstverständlich dürfen auch die Kirchen in einer Auflistung für ein emanzipatorisches Sparprogramm nicht fehlen. Doch auch hier gilt: Die Kritik an der historisch bedingten Dominanz kirchlicher Wohlfahrtsverbände ist nachvollziehbar in einer weltanschaulich und religiös pluraler gewordenen Gesellschaft. Ebenso ist die Kritik an dem Sonderstatus des kirchlichen Arbeitsrechts berechtigt. Aber Sparpotentiale liegen hier nicht.

So läuft die Behauptung, der Staat komme für die Kosten des Einzugs der Kirchensteuern auf, ins Leere. Der Einzug der Kirchensteuern ist eine kostenpflichtige Dienstleistung des Staates, für die die Kirchen je nach Bundesland zwischen 2 Prozent und 4,5 Prozent der erhobenen Kirchensteuern an den Staat zahlen. Der Einzug der Kirchensteuern ist im übrigen kein Privileg der Kirchen. Es ist eine Option für alle Körperschaften öffentlichen Rechts ohne hoheitliche Aufgaben, ihre Beiträge gegen ein entsprechendes Entgelt durch den Staat einziehen zu lassen. Im Zuge der Rechtsgleichheit müsste eine Abschaffung dieser bezahlten staatlichen Dienstleistung dann für alle Körperschaften öffentlichen Rechts gelten.

Man/frau kann selbstverständlich politisch diskutieren, ob das in einem emanzipatorischen Sinne sinnvoll wäre. Emanzipatorisch könnte aber auch heißen, diese Dienstleistung als kostenfreie Dienstleistung allen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu öffnen (vgl. dazu meinen Beitrag »Streitpunkt: Finanzierung religiöser und weltanschaulicher Organisationen«. In: Cornelia Hildebrandt, Jürgen Klute, Helge Mewes, Franz Segbers (2019): Die Linke und die Religion, Hamburg. Erscheint im Oktober) und nicht nur Körperschaften öffentlichen Rechts. Wie immer man diese Frage politisch beurteilen mag: Ein Einsparpotential findet man hier nicht.

Die Ablösung der Staats-Kirchenleistungen

Anders sieht das bei den so genannten Staats-Kirchenleistungen aus, die schon vor 100 Jahren abgelöst werden sollten. Sie machen heute nur mehr einen geringen Teil der Kirchenfinanzen aus – im wesentlichen finanzieren die Kirchen sich heute aus den Kirchensteuern selbst. Die Kirchen selbst stehen der Ablösung der Staats-Kirchenleistungen offen gegenüber. Wer hier bremst, ist der Bundestag.

Auch die Behauptung, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände nur Dank staatlicher milliardenschwerer jährlicher Subventionen eine dominante Rolle spielen können, ist eine Fehleinschätzung. Die in der Tat dominante Rolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände ist schlicht historisch bedingt und nicht durch staatliche Subventionen.  Zudem bekommen die Wohlfahrtsverbände keine Subventionen oder sonstige öffentlichen Zuschüsse. Das stünde im Widerspruch zum EU-Wettbewerbsrecht. Nicht einmal die Kirchen dürfen aus Kirchensteuermitteln ihre Wohlfahrtsverbände finanziell unterstützen. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände bekommen – genau so wie die nicht-kirchlichen Wohlfahrtsverbände DRK, AWO, ASB, Volkssolidarität, etc. – ihr Geld von den so genannten Kostenträgern für erbrachte und abgerechnete Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Die Kostenträger sind die diversen Sozialversicherungen (Krankenkassen, Pflegeversicherung, etc.). Steuergelder werden dafür in der Bundesrepublik in der Regel nicht aufgewandt. Dafür gibt es eben die Sozialversicherungen.

Gäbe es weniger kirchliche Wohlfahrtsverbände, dann gäbe es vermutlich mehr nicht-kirchliche Verbände oder privatwirtschaftliche Anbieter. Oder der Staat müsste Trägerschaften für soziale Einrichtungen übernehmen (was nicht zwangsläufig von Vorteil ist, wie Großbritannien zeigt – dort hat die Regierung das staatliche Gesundheitssystem durch eine systematische Unterfinanzierung verkommen lassen). Auch hier gilt: Es gibt Gründe, die Struktur der Trägerlandschaft im Sozial- und Gesundheitsbereich der Bundesrepublik kritisch zu diskutieren. Aber wie immer man die Trägerlandschaft umbauen will: Dem Staat bringt das keine Einsparungen, weil die Dienste der Wohlfahrtsverbände aus dem Sozialversicherungssystem bezahlt werden und nicht aus Steuern.

Kosten für die theologischen Fakultäten

Es fehlt in diesem Kontext auch nicht der Hinweis, man könne die Kosten für die theologischen Fakultäten an den Hochschulen einsparen, indem man diese schlicht schließt. Denn weshalb soll der Staat die Ausbildung von Pfarrern und Priestern bezahlen. Das ist selbstverständlich eine politische Frage, ob man solche Fakultäten will oder nicht, die man sehr unterschiedlich beantworten kann. Schlösse man diese Fakultäten, dann würde die Ausbildung von Theologen aus dem öffentlichen in den privaten – also rein kirchlichen – Bereich verdrängt.

Nun bemüht man sich aber seit einigen Jahren islamische Lehrstühle an Hochschulen einzurichten, um islamische und Theolog*innen und Religionslehrer*innen in einem Rahmen auszubilden, indem die Lehrstühle ihre Tätigkeit und ihre Wissenschaftlichkeit in einem öffentlichen, demokratisch kontrollierten Raum verantworten müssen. Der Grund für diese Entwicklung waren die problematischen Erfahrungen mit Hinterhof-Koranschulen, die weder ihre Lehrinhalte noch ihre sonstigen Tätigkeiten öffentlich verantworten mussten.

Politisch ist hier also die Frage, ob man die christliche Theologie in einen solchen Status zurückdrängen will und ob das politisch wünschenswert wäre. Die damit indizierten Probleme dürften die Einsparungen für die Fakultäten mittelfristig wieder neutralisieren. In einer weltanschaulich und religiös pluralen Gesellschaft muss man dieser Pluralität auch einen öffentlichen Raum geben, indem  sie methodisch reflektiert und konstruktiv gelebt werden kann. Hier sparen zu wollen ist nicht sehr überzeugend – es sei denn, man/frau hat eine eindimensionale Gesellschaft vor Augen.

Erneut, genauer und realitätsbezogener

Eigenwillig erscheint dieses Argument von Felix Wemheuer noch aus einem anderen Grund. Dass der Staat durch die Ausbildung von Ökonomen ebenso die neoliberale Wirtschaft finanziell unterstützt, ist ihm offenbar kein Problem. Denn die Mehrzahl der ausgebildeten Ökonom*innen findet einen Arbeitsplatz in der freien profitorientiert arbeitenden Wirtschaft und sie tragen auch oft genug dazu bei, im Interesse ihrer Arbeitgeber gegen den Sozialstaat zu lobbyieren. Dass dazu keine kritische Anmerkung in dem Text von Felix Wemheuer zu finden ist, überrascht doch etwas.

Wemheuer beendet seinen Beitrag mit dem Satz: »Natürlich sollte in einem nächsten Schritt diskutiert werden, wie wir die eingesparten Steuergelder sinnvoller ausgeben und für radikalen sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft einsetzen können.« Bei aller Sympathie für das Ziel, dass Wemheuser hier formuliert, habe ich aber doch den Eindruck, dass zunächst einmal noch ein Schritt zurück gegangen werden muss, um sich die Sparpotentiale erneut, genauer und realitätsbezogener anzuschauen.

Vielleicht wäre aber auch noch einmal zu überlegen, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich – auf welche Weise auch immer – auf eine Spardiskussion einzulassen. Sie ist eine deutsche Marotte. Und die bleibt sie auch. Auch wenn sie von links geführt wird. Und wirklich substantieller als die konservativen sind die von Felix Wemheuer gemachten Vorschläge auch nicht. Alle von ihm angesprochen Themen, sind Themen, die politisch zu entscheiden sind und die auch dem entsprechend entschieden werden und keineswegs nach Kassenlage. Von daher bezweifle ich, ob eine linke Beteiligung an Spardebatten überhaupt Sinn macht.

Jürgen Klute ist Sozialpfarrer, Publizist und war von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments für die Linkspartei.

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