Wirtschaft
anders denken.

»Wenn sie tot sind, gibt es neue«

21.02.2021
Zwangsarbeit bei Siemens 1943Von Bundesarchiv, Bild 183-S68029 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, LinkFranzösische Zwangsarbeiterinnen bei Siemens, Berlin 1943

Zwangsarbeit und Hitlertreue: Der NS-Musterbetrieb Continental arbeitet erst langsam seine Vergangenheit auf. Genau wie andere Großkonzerne. Ein Beitrag aus dem nd.

Es war ein äußerst dringliches Schreiben, das 16 ehemalige KZ-Insassen und Zwangsarbeiter der Continental Gummi-Werke AG im Herbst 1946 an die britische Militärregierung richteten. Wie auch der neue Betriebsrat protestierten sie darin »im Namen der 850 toten Kameraden, die bei der Conti-Arbeit durch Prügel, Hunger und andere Quälereien ermordet wurden«, gegen die Wiedereinsetzung des Betriebsführers, Fritz Könecke, sowie des nahezu gesamten früheren »Nazi-Vorstands« des Konzerns durch die zuständige Besatzungsmacht.

Rein personell war ihre Intervention von Erfolg gekrönt. Auch wenn letztlich keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurde – Könecke selbst avancierte gar von 1953 bis 1960 zum Vorstandsvorsitzenden bei Daimler-Benz -, fand doch ein totaler Austausch der Führungsebene des Konzerns statt. Jenseits dessen aber wurde einfach weitergemacht – wie in fast allen deutschen Großunternehmen. Durch das Vorrücken von Protagonisten aus der bisher zweiten Leitungsebene wurde »faktisch eine starke Kontinuität« gewährleistet, die auch die »von der NS-Zeit geprägte Unternehmenskultur« mit einschloss, so der Historiker Paul Erker in seiner gerade erschienenen Studie zum »Continental-Konzern in der NS-Zeit«. Dazu gehörte auch, dass dieser, trotz der zeitweisen Rückstellung von zehn Millionen D-Mark, letztlich keinerlei Entschädigungen an die von ihm ausgebeuteten Zwangsarbeiter zahlen musste.

Schon dies mag bezeugen, was Erker zur Rolle des Hannoveraner Unternehmens schreibt. Lange Zeit, so Erker, habe sich Continental »vor einer wirklichen Analyse seiner Rolle in der NS-Zeit gedrückt«. »Zulieferer für Hitlers Krieg«, so der Titel der über 850 Seiten starken Monografie, schließt nun diese Lücke. Den Auftrag dazu erhielt der Münchner Historiker, der auch schon die Unternehmensgeschichten von Bosch, Jägermeister und der Reimann-Familie verfasst hat, vom Vorstand des mit einem Jahresumsatz von über 44 Milliarden Euro zweitgrößten Automobilzulieferers der Welt. Im Vorfeld des 150-jährigen Firmenjubiläums im kommenden Jahr und 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es offenbar Zeit, das »dunkelste Kapitel der Unternehmensgeschichte«, so der Vorstandsvorsitzende Elmar Degenhart anlässlich der Vorstellung der Studie, aufarbeiten zu lassen. »Als einer der letzten – aber bei weitem nicht der letzte – Dax-Konzerne stellt sich Continental daher nun seiner Geschichte in der NS-Zeit«, schreibt Erker mit Blick etwa auf Siemens, Henkel oder Bayer.

Viel Neues zur NS-Industriepolitik, den Verstrickungen der deutschen Industriellen in die Machtübertragung an die deutschen Faschisten oder die Verbrechen des Regimes wird man nicht erwarten können. Dies ist in Dutzenden wenn nicht Hunderten Studien längst umfassend erforscht worden. Und dennoch bleibt der Blick auf die einzelnen Unternehmen nach wie vor von einigem Interesse, zeigt er doch häufig die Bedeutung einzelner Wirtschaftssubjekte in Bezug auf die Sicherung des Regimes in den ersten Jahren und die spätere Funktionsfähigkeit der Kriegswirtschaft. Dies gilt im Besonderen auch für Continental. Ein Verdienst Erkers besteht hier darin, sich nicht nur auf den Mutterkonzern zu beschränken, sondern auch die später übernommenen Unternehmen Teves, Phönix, Semperit und VDO in die Darstellung zu integrieren und so eine übergreifende Branchenbetrachtung entstehen zu lassen. Von einem »virtuellen Konzern« spricht der Autor, der vor allem in den Firmenarchiven und diversen Korrespondenzen eine schier unglaubliche Masse neuer Quellen erstmals erschlossen hat, in diesem Zusammenhang.

Vor allem bei Continental handelte es sich um einen »NS-Musterbetrieb«. Euphorisch habe der Vorstand um Generaldirektor Willy Tischbein die NS-Machtergreifung begrüßt, so Erker. Nicht nur seien sofort danach »sämtliche Vorstandskollegen sowie die Prokuristen beziehungsweise Direktoren der zweiten Führungsebene zum sofortigen Eintritt in die NSDAP« verpflichtet, der Betriebsrat von »Regimegegnern« gesäubert und in den ersten beiden Jahren etwa eine Million Reichsmark an diverse NS-Organisationen gespendet, sondern auch alle jüdischen Aufsichtsratsmitglieder zum Rücktritt gezwungen worden. Stolz konnte der Vorstand bereits Ende 1933 verkünden, Continental sei nun »ein christliches und rein deutsches Unternehmen«. Erker konstatiert hier eine »in kürzester Zeit verwirklichte Kongruenz und Komplementarität der Interessen des Unternehmens und des NS-Regimes«, die bis 1945 andauern sollte.

Vor allem nach Beginn des Krieges verstärkte sich diese Tendenz noch, auch weil gigantische Profite winkten. Innerhalb kürzester Zeit habe sich der virtuelle Konzern zu einem zentralen »Rückgrat« der deutschen Kriegswirtschaft entwickelt. »Continental war im Bereich der Auto- und Flugzeugreifen sowie Gleiskettenpolster für Panzer, aber auch bei technischen Schläuchen, hydraulischen Bremsen, Präzisionssteuerungs-, Kontroll- und Messinstrumenten für V-1-Marschflugkörper, Panzer und Geschütze einer der wichtigsten Zulieferkonzerne des Dritten Reichs«, schreibt Erker. Dazu sei später noch die Herstellung von Millionen von Volksgasmasken und Sohlen für Wehrmachtsstiefel gekommen.

Gewährleistet wurde dies nicht zuletzt durch den Einsatz von etwa 10 000 Zwangsarbeitern. In rassistischer Manier fand auch bei Conti eine rigide Abstufung der Ausgebeuteten statt: Während etwa französische oder italienische Kriegsgefangene in ein »ziviles Arbeitsverhältnis« übernommen werden konnten, galt dies für die Angehörigen der Roten Armee nicht. Eingesetzt vor allem in den Rohbetreiben, mussten Tausende von ihnen zwölf Stunden unter unmenschlichsten Umständen arbeiten. »Wenn sie tot sind, gibt’s neue«, zitierten bei den späteren Untersuchungen deutsche Conti-Beschäftigte das für den Einsatz zuständige Vorstandsmitglied Hans Odenwald. In den letzten Kriegsjahren waren dann schließlich die Betriebe auch »in das von der SS betriebene verbrecherische System der ökonomischen Instrumentalisierung der Konzentrationslager« vollends eingebunden, so Erker. Rund 500 weibliche Häftlinge mussten etwa im Werk Limmer in Zwölf-Stunden-Schichten und unter erbärmlichen Bedingungen Gasmasken für Continental fertigen.

Insbesondere für die Überlebenden unter ihnen kommt die vom Konzern in Auftrag gegebene »Selbstreflexion und Selbstvergewisserung des Unternehmens über die eigenen Verstrickungen in das Unrecht der NS-Zeit«, der sich Erker verschrieben hat, zu spät. Man wird gespannt sein dürfen, welche Lehren unternehmensintern daraus gezogen werden und wie sich die Berücksichtigung der Ergebnisse »als Teil der Unternehmensstrategie«, so Vorstandvorsitzender Degenhart, zukünftig niederschlagen wird.

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